17.07.25

Im Gespräch: Prof. Christof Ziegert über Lehmbau, Baukultur und mutige Entscheidungen

Prof. Dr.-Ing. Christof Ziegert ist Bauingenieur, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Lehmbau sowie Geschäftsführer von ZRS Architekten Ingenieure in Berlin. Seit den 1980er Jahren engagiert er sich für eine ressourcenschonende Bauweise mit Lehm, Holz und anderen naturbasierten Materialien. Im Gespräch mit Nina Grunberg spricht er über Pionierarbeit im Lehmbau, politische Hebel für die Bauwende und das zirkuläre Potenzial eines vermeintlich altmodischen Baustoffs. Das Interview entstand im Frühjahr 2025 im Zuge der Materialrecherche für die IBA’27 durch Biobased Creations.

Beschreiben Sie Ihren persönlichen Hintergrund/Lebensweg, wie Sie in die Welt des nachhaltigen Bauens gekommen sind und was Ihre derzeitige Rolle/Berufsbezeichnung ist? 

Christof Ziegert: Bereits in meiner Jugend hat mich das Waldsterben der 1980er Jahre zum ziemlich konsequenten Öko werden lassen. Ich freue mich, dass ich neben der privaten Lebensweise auch mit unserem Unternehmen ZRS weltweit mit Lehm und Holz bauen kann und mit dem nachhaltigen Bauen 75 MitarbeiterInnen ihr Geld verdienen. Als Diplom Ingenieur und Mitbegründer bin ich einer der Geschäftsführer von ZRS Architekten Ingenieure.

»Als ich Mitte der 90er Jahre meine Diplomarbeit zum Lehmbau fertiggestellt hatte, wurde mir vom Betreuer noch empfohlen, dass ich nun auf Beton umschwenken sollte, damit ich auch mal eine Familie ernähren könnte. Im Nachhinein der beste Antrieb für mich nach dem Motto, dem zeige ich es!«
Prof. Christof Ziegert

Mein erster Kontakt mit einer Lehmbaustelle war 1986 in meiner Ausbildung als Maurerlehrling, wir waren beteiligt an der Restaurierung eines historischen Gebäudes mit Lehmmauerwerk. Danach hat es mich nicht mehr losgelassen.

Auch privat mag ich es mit natürlichen Materialien zu bauen. Wir restaurieren gerade ein kleines Ferienhaus. Und auch unseren Auslandsbaustellen in der Kulturerbeerhaltung versuchen wir zu Trainingszwecken für die lokalen Arbeiter auch noch mitzuarbeiten. Denn im Rahmen unserer Arbeit als Ingenieur:innen im Lehmbau sind wir auch in der internationalen Denkmalpflege und Archäologie tätig. Wir vermitteln das Wissen, was wir zusammengetragen haben aus Handwerk, Architektur und Ingenieurwesen an lokale Arbeiter und Wissenschaftler, die das bauliche Weltkulturerbe vor Ort begleiten.

Was ist das primäre Ziel Ihres Unternehmens und was unterscheidet es von anderen in der Branche?

Christof Ziegert: Seit unserer Unternehmensgründung 2003 versuchen wir konsequent nachhaltige Bauwerke zu planen. Wir waren damals eher die belächelten Spinner. Heute, wo zum Glück viele auf den Zug aufspringen, haben wir natürlich einen guten Vorsprung, den wir gerne beratend und lehrend weitergeben.

Anfangs stießen wir auf viel Skepsis – nachhaltiges Bauen war kaum ein Thema, und Fachwissen im Lehmbau war rar. Deshalb haben wir selbst geforscht, ausprobiert und unser Wissen aufgebaut. Ein erstes Bauvorhaben gab uns die Chance, unsere Ansätze praktisch umzusetzen.

Zunächst kamen vor allem Privatkunden, die gesünder wohnen wollten. Später folgten Unternehmen, die ein nachhaltiges Image suchten. Heute zählen auch öffentliche Auftraggeber zu unseren Kunden – ein großer Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung.

Wissenstransfer ist uns zentral wichtig. Wir arbeiten forschungsorientiert, sind stark vernetzt und teilen unser Wissen offen – für eine breite Bewegung im Lehmbau, nicht nur für unseren eigenen wirtschaftlichen Erfolg.

Ich war 20 Jahre im Vorstand des Dachverbands Lehm aktiv, der wesentlich zur Normierung beigetragen hat. Inzwischen geben wir das Feld an die jüngere Generation weiter.

Ich unterrichte an Hochschulen wie der Bauhaus-Universität Weimar, um zukünftige Fachleute im Lehmbau auszubilden.

»Heute muss ich niemandem mehr erklären, warum Lehmbau sinnvoll ist – wir können direkt in den fachlichen Diskurs gehen.«
Prof. Christof Ziegert

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, aber auch mögliche Lösungen in Bezug auf Ihre eigene Arbeit oder den Bereich, in dem Sie direkt tätig sind?

Christof Ziegert: Größtes Hindernis für die breite Anwendung von Lehmbaustoffen sind immer wieder fehlende bauaufsichtliche Verwendbarkeitsnachweise, die einfach noch nicht in der Breite vorliegen, wie in ähnlichen Feldern des Bauwesens, wie z.B. Gipsfaserplatten. Als Vorsitzender vom Normausschuss Lehmbau am DIN und im Sachverständigenausschuss Wandbaustoffe des DIBt versuche ich so schnell als möglich die Situation zu verbessern, aber andere Industrien haben einfach 75 Jahre Vorsprung…

Die Skalierung in der Anwendung könnte schneller verlaufen. Zwar sind Ausbildungen zur Fachkraft Lehm inzwischen ausgebucht und es gibt zahlreiche Weiterbildungen für Architekt:innen und Ingenieur:innen – ein großer Fortschritt im Vergleich zu vor 20 Jahren. Auch Handwerker:innen mit Lehmkenntnissen sind keine Seltenheit mehr. Doch große Gebäude aus natürlichen Materialien zu realisieren bleibt eine Herausforderung.

Was noch die Seltenheit ist, sind große Bauunternehmen, die gemeinsam mit uns den nächsten Schritt wagen. Es geht nicht um exotische Spezialtechniken, sondern um den Einsatz bekannter Bauweisen wie Putz, Trockenbau und Mauerwerk mit anderen, nachhaltigen Materialien. Diese sind bereits normiert, zertifiziert und einsatzbereit.

Wir stellen das nötige Wissen bereit. Nun braucht es mutige Unternehmer:innen, die es anwenden. Einige gehen bereits voran, lassen ihre Mitarbeitenden schulen und setzen Projekte um – doch diese Gruppe darf wachsen.

Wie beurteilen Sie den Einsatz biobasierter Baustoffe derzeit auf dem deutschen Markt und wie können diese Ihrer Meinung nach im derzeitigen Bauwesen am wirkungsvollsten integriert werden?

Christof Ziegert: Wenn man bedenkt, dass 96 Prozent des deutschen Wohnungsbaus bis einschließlich Gebäudeklasse vier gebaut wird und wir mit Lehmsteinen seit 2023 bis einschließlich Gebäudeklasse vier realisieren dürfen und können, sehe ich ein riesiges Potential, energieintensivere Bauarten zu substituieren ohne Qualität einzubüßen; im Gegenteil! 

Wo sehen Sie Möglichkeiten, zirkuläre Methoden wie Modularität, Rückbaubarkeit, Wiederverwendung und Recycling mit naturbasierten Produkten oder Anwendungen zu kombinieren?

Christof Ziegert: Die früher belächelte wasserlösliche Bindung von Lehmbaustoffen ist der Schlüssel zum zirkulären Bauen. Lehmbaustoffe sind die einzigen mineralischen Baustoffe, die ohne erneuten Energieeinsatz einer neuen Formgebung und Erhärtung unterzogen werden können und das unendlich oft. Das kann als Mauermörtel und Putz auch dem klassischen Mauerwerk helfen: wenn ich Fuge und Putz vom Kalksandstein oder Hochlochziegel wieder rückstandslos und ohne Beschädigung entfernen kann, können auch diese Produkte wieder »wie neu« verkauft werden.

Wir haben uns auch mit der Frage beschäftigt, wie recyclierte Körnung, also z.B. Betonrecycling und Ziegelsplitt in Kombination mit Lehm verwendet werden können. Die Ergebnisse haben allerdings keine guten Resultate gezeigt.

Das Zufügen von nicht durchkarbonatisierten Betonrecyclat hat eine entfestigende Wirkung auf Lehmbaustoffe. Das hat mit einer chemischen Wechselwirkung mit dem Kationenaustauschvermögen der Tonminerale zu tun. Zudem ist der Gehalt an Schadstoffen im Betonrecyclat oft sehr hoch. Deren Verwendung für Lehmbaustoffe ist dann normativ ausgeschlossen.

Welche Strategie oder welche spezifischen Lösungen sehen Sie als entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung der Region Baden-Württemberg oder allgemein in Deutschland an?

Christof Ziegert: Das Land Baden-Württemberg gibt dem Lehmbau zum Beispiel mit jährlichen Lehmbaupreis mehr Sichtbarkeit. Mit Einführung der Gebäudeklasse E werden wir auch mehr mit Lehmbaustoffen umsetzen können, als dies heute der Fall ist. Und schließlich sollte ein niedriger Kohlendioxid-Footprint der Baustoffe auf eine intelligente Art und Weise belohnt werden.

In Baden-Württemberg gibt es viel und guten Lehm, der sehr gut als Baustoff genutzt werden kann. Die Menschen in Baden-Württemberg sind clever und setzen gute Dinge und Ideen sehr schnell um; es steht dem also nichts im Wege. Wir setzen auch bereits viele Bauvorhaben in Baden-Württemberg und in ganz Süddeutschland um. Auch in der Bildung findet viel statt zu diesem Thema. In Biberach kann man sich z.B. zur Fachkraft Lehm ausbilden lassen und in den Hochschulen von Stuttgart, Karlsruhe und Biberach gibt es Kurse zum Thema Lehmbau. Auch die Architekten- und Ingenieurkammern sind sehr offen in Baden-Württemberg.

Call for action: Was ist Ihr Wunsch, was sollten die Akteur:innen im Bauwesen heute tun, um ihre Projekte mit natürlichen und kreislauffähigen Baustoffen zu realisieren?

Christof Ziegert: Offen sein und den inneren Schweinehund überwinden! Wir als im Hochbau tätige Architekt:innen und Ingenieur:innen müssen umso konsequenter umsteuern, da es im Tiefbau viel schwieriger ist, den Footprint zu senken. Aber eine klassische Mauerwerkswand, die außen gedämmt und verputzt ist, kann jetzt aus Lehmsteinen gebaut werden statt aus Ziegeln und damit kann 70 Prozent Primärenergie eingespart werden.

»Baut Wohnungen, Kindergärten, Schulen, Büros etc. mit Lehm, Holz, Stroh & Co! Es geht, kann gut aussehen und man kann sich wohlfühlen!«
Prof. Christof Ziegert

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Weleda Logitikzentrum. Bild: ZRS Ingenieure
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