Im Gespräch: Markus Wolf über Strohbau und Selbstwirksamkeit
Markus Wolf ist Zimmerermeister und Vorstand der Zimmerei Grünspecht eG in Freiburg. Seit über 20 Jahren gestaltet er den ökologischen Holzbau aktiv mit und hat den Strohbau als Standard im Neubau etabliert. Im Gespräch mit Melissa Acker erzählt er von seinem Weg in die nachhaltige Baupraxis, seinen persönlichen Motiven und den Herausforderungen im heutigen Bauwesen. Das Interview entstand im Frühjahr 2025 im Zuge der Materialrecherche für die IBA’27 durch Biobased Creations.
Beschreibe deinen persönlichen Hintergrund bzw. Lebensweg – wie bist du in die Welt des nachhaltigen Bauens gekommen und was ist deine derzeitige Rolle bzw. Berufsbezeichnung?
Markus Wolf: Ich bin 1975 in Erfurt geboren und habe die ersten 15 Jahre in der DDR verbracht – in einer Mangelwirtschaft, in der nichts verschwendet und sehr viel repariert wurde. Diese Erfahrung hat mich geprägt. Nach der Wende habe ich in Thüringen Abitur gemacht, Zivildienst geleistet und eine Ausbildung zum Zimmerer abgeschlossen. Mit 23 Jahren bin ich dann nach Freiburg gezogen und habe bei der Zimmerei Grünspecht eG als Junggeselle angefangen – einem Kollektivbetrieb, der sich seit seiner Gründung 1984 dem ökologischen Holzbau verschrieben hat. Das hat mich sofort abgeholt.
Nach zwei Jahren in der Produktion habe ich die Meisterschule besucht, bin zurückgekehrt und habe viele Bereiche durchlaufen: acht Jahre Neubauleitung, zehn Jahre Altbaumodernisierung, Beratung, Verkauf. Seit 2005 bin ich gewähltes Vorstandsmitglied.
2018 stand ich an einem Wendepunkt: »Mach ich das jetzt bis zur Rente – oder kommt da noch was?« Im gleichen Jahr lernte ich eine Baugruppe kennen, die acht Wohneinheiten in strohgedämmter Bauweise im Umland von Freiburg realisieren wollte.
Ich habe mich informiert, Planungsworkshops besucht, Exkursionen gemacht und dahintergeklemmt.
So kam ich auch mit Benedikt Kaesberg von der Baustroh GmbH in Kontakt. Er trat damals eine EU-geförderte Stelle an, um den Strohbau bekannter zu machen. Zu einem Fachgespräch in München zum Bauvorhaben des Klosters Plankstetten fuhr ich gemeinsam mit Peter Henkel und wir lernten Benedikt kennen – darüber kam alles in Gang – seitdem sind wir Weggefährten.
Für unser erstes eigenes Strohhausprojekt hatten wir ein Jahr Entwicklungszeit. 2022 habe ich zudem die Fortbildung zur Fachkraft Lehmbau gemacht. Anfangs war vieles unklar: Wird das was? Ist es bezahlbar? Kommt ein Auftrag? Das war ein ziemlicher Alleingang, aber meine Kolleg:innen haben mich zum Glück machen lassen – sie haben mir vertraut. Als schließlich die erste Fuhre Stroh in die Halle kam, hat Peter Henkel mit uns drei Tage lang Stroh eingebaut – damit wir Freude daran haben und es richtigmachen. Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir diesen Weg gegangen sind.
Natürlich gab es Sorgen und unternehmerisches Risiko. Aber wir hatten Glück – keine Rückschläge, nichts musste rückgebaut werden. Heute haben wir eine echte Routine. Unser erstes Strohbau-Projekt im September 2019 war eine Siedlung mit sechs Einfamilien- und einem Zweifamilienhaus. Seitdem bauen wir Neubauten fast nur noch mit Stroh. Was damals alle in der Nachbarschaft zum Staunen brachte – ein Sattelzug Stroh vor der Halle – ist heute Alltag. In sechs Jahren von der Vision zum Routineprodukt – das ist für mich und unser Team gelebte Selbstwirksamkeit.
»In sechs Jahren von der Vision zum Routineprodukt – das ist für mich und unser Team gelebte Selbstwirksamkeit.«
Markus Wolf
Für mich war es ein Glück, dass sich nach 20 Jahren im Beruf plötzlich diese Tür öffnete. Uns als Firma tut die Vorreiterrolle sehr gut und wir werden dafür geschätzt. Immer wieder kommen Menschen, die sich für das begeistern, was wir tun. Diese Anerkennung von außen – das ist für uns ein echtes Kompliment, wie ein Lebenselixier.
Ich habe zwei erwachsene Kinder. Wenn ich auf die heutige Marktwirtschaft und den aktuellen Umgang mit Ressourcen schaue – Klimawandel, Wegwerfgesellschaft – sehe ich vieles noch mit den Augen eines DDR-Bürgers. Meine Motivation persönlich ist: Ich will, dass wir verantwortungsvoller mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen. Wir arbeiten stetig daran, unsere Bauweise weiter Richtung Nachhaltigkeit zu optimieren. Was mich antreibt, ist nicht das, was am Ende auf dem Konto steht, sondern das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun – etwas, das alle brauchen können.
Was ist das primäre Ziel der Zimmerei Grünspecht und was unterscheidet es von anderen Unternehmen in der Branche?
Markus Wolf: Unser Ziel ist es, ökologisches Bauen mit sozialem und wirtschaftlichem Verantwortungsbewusstsein zu verbinden. Wir arbeiten gemeinwohlorientiert – gegenüber Mitarbeitenden, Kund:innen, Lieferanten und unserem Umfeld. Fairness, Teilzeitmodelle, Weiterbildung und gelebte Nachhaltigkeit prägen unseren Alltag. Als Genossenschaft bieten wir allen Mitarbeitenden die Möglichkeit, Miteigentümer:innen zu werden und Verantwortung zu übernehmen.
»Unser Ziel ist es, ökologisches Bauen mit sozialem und wirtschaftlichem Verantwortungsbewusstsein zu verbinden.«
Markus Wolf
Seit der Gründung 1984 baut die Zimmerei Grünspecht fast ohne Styropor, PE- und Alu-Folien oder andere fossile Baustoffe. Ausgangspunkt der Gründungsidee war der Holzschutzmittelskandal, der in Städten wie Freiburg eine Ökobewegung ins Leben rief: Landschaftsgartenbau, Biobauernhöfe, Bioläden, sowie Handwerksbetriebe und Holzbauer – manche wollten andere Wege gehen. Seit 2019 bauen wir Strohhäuser, inzwischen unser Standard im Neubau. Wer sich für ein Haus bei uns interessiert, lässt sich beraten, besucht Projekte – und sagt dann meist: »Das will ich auch.«
Unsere Nische: die strohgedämmte Vorfertigung. Kombiniert mit unserer demokratischen Unternehmensform unterscheidet uns das klar von vielen anderen Zimmereien oder Holzbauunternehmen. Das spricht sich herum: Wir bekommen viele Bewerbungen, haben stets Praktikant:innen im Haus, und wurden schon öfter von der Handwerkskammer kontaktiert als Anlaufstelle für Lehrlinge, die sich bezüglich Lehrbetrieb neu orientieren möchten.

Durch Öffentlichkeitsarbeit über Plattformen wie YouTube erreichen wir auch überregional Interessierte und können das Bewusstsein für nachhaltiges Bauen mit Stroh steigern. Mit Veranstaltungen wie Tagen der offenen Baustelle zeigen wir: Jedes Haus ist eine Botschaft. Strohbau und Lehmbau muss man erleben – sehen, fühlen, riechen.
Wo siehst du die größten Herausforderungen, aber auch mögliche Lösungen in Bezug auf deine eigene Arbeit oder den Bereich, in dem du direkt tätig bist?
Markus Wolf: Die größte Herausforderung liegt darin, eine echte ›Bauwende‹ zu erreichen – weg von energieintensiven, fossilen und CO2– verursachenden Baustoffen, hin zu wirklich nachhaltigen Lösungen, die rückbaubar und wiederverwendbar sind. Das ist ein echter Kraftakt. Die Vielzahl an Vorschriften, Zulassungen, Prüfzeugnissen, Grenzwerten und Förderkriterien erschwert den Weg zu einfachen, sinnvollen Lösungen zusätzlich.
»Die größte Herausforderung liegt darin, eine echte ›Bauwende‹ zu erreichen – weg von energieintensiven, fossilen Baustoffen hin zu wirklich nachhaltigen Lösungen, die rückbaubar und wiederverwendbar sind.«
Markus Wolf
Ich bin mir auch nicht sicher, ob Fördermittel und Subventionen der richtige Weg sind. Lange Zeit hat man auf eine CO2-Besteuerung gehofft, die eine echte Wende bringen würde – dass zum Beispiel Betonbauweisen durch höhere Kosten unattraktiv werden. Aber überraschenderweise geht es eben doch. In den Gremien, die Grenzwerte festlegen, sitzen oft Vertreter aus den ganzen energieintensiven Branchen. So kann selbst ein Kalksandsteinhaus mit Styropordämmung eine Förderung für nachhaltiges Bauen erhalten.
Das nachhaltige Bauen hat leider keine (große) Lobby, was die Situation zusätzlich erschwert. Im Holz- und Lehmbau gibt es viele kleine Betriebe und zahlreiche Verbände, die teilweise sogar etwas um Mitglieder miteinander konkurrieren. Die Branche ist stark zergliedert. Im Gegensatz dazu besteht die Beton- und Mauerwerksbranche aus ein paar großen Monopolisten, mit mehr Umsatz und mehr Geld. Wenige große Unternehmen können schneller zu Lösungen kommen. Dennoch finde ich es grundsätzlich auch nicht gut, mehr Lobbyarbeit zu fordern – generell halte ich Lobbyismus für bedenklich.
Wie beurteilst du den Einsatz biobasierter Baustoffe derzeit auf dem deutschen Markt und wie können diese deiner Meinung nach im derzeitigen Bauwesen am wirkungsvollsten integriert werden?
Markus Wolf: Der Einsatz biobasierter Baustoffe hat in den letzten Jahren definitiv an Bedeutung gewonnen, und es gibt zahlreiche Anwendungsbereiche und innovative Materialien und Ideen. Die Frage bleibt jedoch, wie man diese Materialien so attraktiv und bezahlbar macht, dass es kaum einen Weg daran vorbei gibt.
Wenn man auf die Entwicklung seit 1984 zurückblickt, hat sich bereits viel getan. Es gibt mittlerweile viele nachwachsende Rohstoffe auf dem Markt, die, auch wenn sie noch nicht perfekt sind – etwa aufgrund synthetischer Stützfasern – immerhin besser sind als herkömmliche Baustoffe wie Glaswolle. Der deutsche Markt bietet hier schon einiges, wenn man es denn möchte.
Ein wichtiger Schritt wäre, dass von staatlicher Seite mehr getan wird, um den Einsatz biobasierter Baustoffe zu erleichtern – zum Beispiel durch mehr öffentlich finanzierte Brandtests. Denn genau das ist oft eine riesige Hürde: solche Prüfungen kosten viel Zeit und Geld. Wenn das von höherer Stelle wirklich gewollt wäre und nicht alles an den einzelnen Firmen hängen bliebe, dann wäre das für die ganze Branche hilfreich. Man weiß ja, dass vieles funktioniert – man muss nicht zwangsläufig fossil bauen.
Da hilft zur Orientierung auch der Blick über die Grenzen in andere Länder, wo man uns mehr und mehr überholt.
Wo siehst du Möglichkeiten, zirkuläre Methoden wie Modularität, Rückbaubarkeit, Wiederverwendung und Recycling mit dem Übergang zu naturbasierten Produkten oder Anwendungen zu kombinieren?
Markus Wolf: Zirkuläre Methoden lassen sich mit biobasierten Baustoffen ziemlich gut verbinden. Sind sie wirklich frei von Zusätzen und kompostierbar, es fehlt nur noch am Fokus und der Motivation die Details und Konstruktionen auf ihre spätere Rückbaubarkeit hin zu optimieren.
Derzeit ist das Thema Rückbau in der Praxis noch nicht sehr präsent. Viele Auftraggeber: innen denken, ihr Haus steht ewig – was ja auch erst einmal die richtige Perspektive ist, wenn man baut. Es gibt aber bereits Initiativen von Universitäten und Holzbaubetrieben, die einen genaueren Blick auf zirkuläre Bauweisen werfen – auch wenn das noch am Anfang steht.
Unsere Elemente werden geschraubt, teilweise geklammert – theoretisch also rückbaubar, aber das müsste man noch weiterverfolgen und untersuchen. Wir haben das sogar mal ausprobiert: Auf YouTube gibt es ein Video von uns, in dem wir eine Musterwand wieder auseinandernehmen. Das hat tatsächlich gut funktioniert. Das einzige was wir noch nicht getestet haben, ist den Kalkputz vom Stroh runterzubekommen, das ist etwas aufwändiger – im Kalkputz sind auch ein paar Prozent Zement drin, also nicht 100 Prozent ökologisch.
Im Alltag arbeiten wir generell möglichst ohne Abfall: Was vom Stroh übrigbleibt, geht zum Pferdebauer. Lehmreste von der Baustelle werden einfach wieder angerührt und an der nächsten Wand im Unterputz weiterverwendet.

Welche Strategie oder welche spezifischen Lösungen siehst du als entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung der Region Baden-Württemberg oder allgemein in Deutschland an?
Markus Wolf: In unserer Nische des Stroh- und Lehmbaus wird oft gesagt, dass eine ehrliche CO₂-Bepreisung nachwachsenden Baustoffen den nötigen Rückenwind geben würde. Nachhaltige Entwicklung bedeutet für uns: regional, handwerklich und sinnstiftend bauen. Das stärkt die Region und schafft stabile Strukturen – im Gegensatz zu globalen Lieferketten, die wie z. B. in der Autoindustrie immer wieder sichtbar, schnell ins Wanken geraten können.
Der Fachkräftemangel wird im Handwerk häufig thematisiert – mit der Forderung, mehr zu automatisieren. Das trifft sicherlich oft zu, doch bei uns zeigt sich: Wer etwas Sinnstiftendes macht, mit zukunftsfähigen Materialien arbeitet und gemeinwohlorientiert handelt, zieht Menschen an. Wir erhalten regelmäßig Bewerbungen von motivierten Leuten – oft mehr, als wir brauchen. Unsere Strategie: Arbeitsplätze menschenwürdig und abwechslungsreich gestalten. Unsere 50 Mitarbeitenden schätzen genau das – es bringt Freude und Identifikation mit der Arbeit, die sie leisten.
Ein weiterer Hebel ist die Stärkung regionaler Kreisläufe. Das familiäre Miteinander mit regionalen Firmen – vom Fliesenleger, über den Schlosser bis zum Landwirt – macht die Zusammenarbeit nicht nur nachhaltiger, sondern auch persönlicher und zukunftsfähig. Zu Beginn war die Verbindung zur Landwirtschaft noch ungewöhnlich, heute ist sie Routine – und eine Zusammenarbeit, die wir gerne weiter ausbauen.
Call for action: Was ist dein Wunsch, was sollten die Akteur:innen im Bauwesen HEUTE tun, um ihre Projekte mit natürlichen und kreislauffähigen Baustoffen zu realisieren?
Markus Wolf: Um mit natürlichen, kreislauffähigen Materialien zu bauen, braucht es dringend baurechtliche Vereinfachungen – besonders für nachwachsende, oft brennbare Materialien wie Stroh. Gleichzeitig sollten Förderprogramme gezielt Bauherr:innen, Kommunen und Investoren motivieren, diesen Weg zu gehen.
Ein inspirierendes Beispiel ist Florian Nagler mit seinem Ansatz des einfachen Bauens. Seine Musterhäuser zeigen, wie man mit reduzierten Mitteln klug, ressourcenschonend und nachhaltig bauen kann. Die Diskussion um eine neue Gebäudeklasse E, in der ein vereinfachter Standard festgelegt wird, geht in die richtige Richtung. Das Bauwesen ist massiv überreguliert. Werner Sobek spricht von rund 20.000 Bauvorschriften, von denen nach seiner Analyse nur etwa 4.000 notwendig wären. Diese Überregulierung bremst Low-Tech-Ansätze aus – also genau das, was wir für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft brauchen.
Mein Appell: Wenn sich alle Beteiligten – Fachplaner: innen, Handwerk, Behörden und Bauherr: innen – einig sind, dass auch einfachere Lösungen ausreichend sind, dann muss das baurechtlich auch möglich sein. Wir brauchen weniger Verwaltung und mehr Mut und Vertrauen, um das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen wirklich voranzubringen.
»Wir brauchen weniger Verwaltung und mehr Mut und Vertrauen, um das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen wirklich voranzubringen.«
Markus Wolf