Im Gespräch: Simon Breidenbach über Tradition, Transformation und Lehm als Baustoff der Zukunft
Simon Breidenbach ist Vertriebsleiter bei ClayTec, einem Pionierunternehmen für Lehmbaustoffe mit Sitz am Niederrhein. Aufgewachsen in einer Architektenfamilie, prägte ihn früh die Überzeugung, dass nachhaltiges Bauen auch technisch überlegtes Bauen ist. Mit Nina Grunenberg spricht über Lehm als zirkuläres Schlüsselmaterial, wirtschaftliche Hürden in der Bauwende und warum der Gebäuderessourcenpass zum Game-Changer werden könnte. Das Interview entstand im Frühjahr 2025 im Zuge der Materialrecherche für die IBA’27 durch Biobased Creations.
Beschreibe Deinen persönlichen Hintergrund und Lebensweg. Wie bist Du in die Welt des nachhaltigen Bauens gekommen und was ist Deine derzeitige Rolle?
Simon Breidenbach: Nach meinem Studium der Wirtschaftswissenschaften und internationalem Vertrieb in Wien zog es mich 2021 in den Bereich des nachhaltigen Bauens. Angesichts des Baubooms und der steigenden Nachfrage nach Fachkräften, besonders nach der Bundestagswahl 2021, entschied ich mich, diesem Sektor zu folgen. Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz war zu dieser Zeit besonders präsent.
Ich finde es gerade beim Lehm so faszinierend, dass er, obwohl er wasserlöslich und immer wiederverwendbar ist, Gebäude entstehen lässt, die tausende Jahre alt werden können, aber auch in einer sehr kurzen Zeit wieder der Natur zurückgeben werden können.
Mein Vater hat mir immer erzählt, wie sie damals mit den Fachwerkbaustellen den jahrhundertealten Lehm in bester Qualität in den Gefachen vorgefunden haben und das eigentlich einwandfreies Material war.
Meine Oma, Inge Breidenbach, hat als Architektin das Bundesverdienstkreuz bekommen für ihren Einsatz für den Denkmalschutz am linken Niederrhein. Sie war eine der ersten Architektinnen in Deutschland, die Fachwerkhäuser wieder so restauriert hat, wie sie vor 500 Jahren auch erbaut wurden. Für sie war das in erster Linie keine Entscheidung aus ökologischen Gesichtspunkten, sondern aus rein bautechnischen Gründen. Es funktioniert im System. Holz und Lehm schützen sich gegenseitig und so können Gebäude jahrhundertelang bestehen.
Mit dieser technischen Entscheidung brachten meine Großeltern als Architekten den Lehm wieder ins Fachwerk. Leider gab es keine Handwerker, die über dieses Wissen verfügten, sodass mein Vater die Ausführung übernehmen musste. Da es das Material nicht zu kaufen gab, experimentierte mein Vater mit eigenen Mischungen. Am Niederrhein gibt es sehr viel Lehm im Boden, und daraus entstand dann unser Unternehmen Claytec GmbH, bei dem ich heute Vertriebsleiter bin.
Was ist das primäre Ziel Von Claytec Lehmbaustoffe und was unterscheidet es von anderen Herstellern in der Branche?
Simon Breidenbach: Das primäre Ziel ist Wirtschaftlichkeit, wir sind ein Handelsunternehmen. Wir müssen wirtschaftlich arbeiten und wirtschaftlich erfolgreich sein, um Materialien herstellen zu können, um Mitarbeiter bezahlen zu können, um im Markt aktiv zu sein. Wir handeln mit einem fantastischen Material, das einen großen Impact auf die Bauwende haben kann. Wir können helfen die Bauwende zu gestalten, indem wir nachhaltige Materialen wie Lehm und Holz zur Verfügung stellen. Je wirtschaftlicher wir sind, desto erfolgreicher können wir einen aktiven Beitrag zur Bauwende leisten.
»Wir handeln mit einem fantastischen Material, das einen großen Impact auf die Bauwende haben kann.«
Simon Breidenbach
Und dann ist es natürlich Ziel, den Baustoff Lehm dort in die Anwendungen zu bringen, wo er wirklich gut energieintensive Baustoffe substituieren kann, bautechnisch sinnvoll ist und dementsprechend seine Effekte voll ausspielen kann. Lehm ist aber kein Baustoff, den man pauschal überall einsetzen sollte und müsste. Wir werden keine Brücken aus Lehm bauen. Lehm ist und soll wasserlöslich sein, deshalb gehört er nicht in den Außenbereich.
Wir sind der einzige überregionale Baustoffhersteller im Bereich der Lehmbaustoffe. Mit Standorten und Mitarbeitenden sind wir deutschland- und europaweit tätig. Wir haben ein umfangreiches Produktportfolio, wir können in allen Bereichen Lösungen und Systeme anbieten. Wir sind auch, was Zulassungen und technische Nachweise angeht, sehr gut entwickelt und verfügen über die Produktionskapazitäten, die es benötigt, um größere Bauvorhaben mit Lehm umzusetzen.
Wo siehst Du die größten Herausforderungen, aber auch mögliche Lösungen in Bezug auf Deine eigene Arbeit oder den Bereich, in dem Du direkt tätig bist?
Simon Breidenbach: Die größte Herausforderung ist das sehr starre System der Baubranche. Es gibt immer sehr viele Beteiligte in sehr langwierigen Prozessen. Hier Veränderungen anzubringen ist nicht einfach. Wir müssen alte Strukturen aufbrechen und die Gesamtbranche informieren, dass es Alternativen gibt. Dieser Wissenstransfer ist eine grosse Herausforderung. Die Baubranche ist extrem innovationsfeindlich. Es ist belegt, dass es in den letzten 40 Jahren keine Effizienzgewinne gab. Da ist die Landwirtschaft noch progressiver. Und dann natürlich die Kosten. Wir produzieren vergleichsweise in so kleinen Stückzahlen, dass Skaleneffekte hinsichtlich der Produktionskosten noch nicht möglich sind. Wir produzieren mit relativ viel Aufwand, relativ kleine Mengen, das macht die Produkte im Einzelnen teurer.
»Die Baubranche ist extrem innovationsfeindlich. Es ist belegt, dass es in den letzten 40 Jahren keine Effizienzgewinne gab.«
Simon Breidenbach
Wir geben viele Schulungen, arbeiten zusammen mit Universitäten, mit Handwerkskammern und Architektenbüros, sind aber auch ein relativ kleines Unternehmen und kommen da immer wieder an unsere Grenzen. Das Tagesgeschäft holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück.
Wie beurteilst Du den Einsatz biobasierter Baustoffe derzeit auf dem deutschen Markt und wie können diese Deiner Meinung nach im derzeitigen Bauwesen am wirkungsvollsten integriert werden?
Simon Breidenbach: Der Baustoff Holz gewinnt zunehmend an Bedeutung, spielt jedoch prozentual im Bauwesen noch immer eine untergeordnete Rolle. Eine echte Veränderung kann nur erfolgen, wenn externalisierte Kosten berücksichtigt werden – also der gesamte Lebenszyklus eines Baustoffs. Materialien, die nach ihrer Nutzung wiederverwendet oder der Natur zurückgegeben werden können, sind ökologisch und wirtschaftlich deutlich sinnvoller als solche, die zu Abfall werden.
Ein Schlüssel dazu ist der Gebäuderessourcenpass, den der Landkreis Viersen bereits einsetzt. Er nutzt eine spezielle Regelung aus Nordrhein-Westfalen, die es erlaubt, bei Vorliegen eines dokumentierten Ressourcenpasses 20 Prozent der Errichtungskosten steuerlich abzuschreiben. Das ist aktuell einzigartig in Deutschland.
Der Pass erfasst detailliert alle verwendeten Materialien, ihre Herkunft und ihre Umweltauswirkungen. So werden Gebäude von Beginn an kreislauffähig geplant. Die digitale Dokumentation jeder Komponente ermöglicht eine transparente Bilanzierung und langfristige Werterhaltung – anstelle späterer Abrisskosten steht ein Rohstoffwert.
Auch wenn die Erstellung einer CO₂-Bilanz etwas mehr kostet, verändert sich durch diesen Ansatz die wirtschaftliche Betrachtung eines Gebäudes grundlegend. Der Landkreis Viersen geht hier mit gutem Beispiel voran – ökologisch wie ökonomisch – und zeigt, dass nachhaltiges Bauen auch finanziell sinnvoll ist.
Wo siehst Du Möglichkeiten, zirkuläre Methoden wie Modularität, Rückbaubarkeit, Wiederverwendung und Recycling mit dem Übergang zu naturbasierten Produkten oder Anwendungen zu kombinieren?
Simon Breidenbach: Diese Frage nehme ich natürlich mit meinem Baustoff Lehm mit Kusshand! Wir haben einen wasserlöslichen Baustoff als Bindemittel. Als einziges plastisches Baumaterial ist Lehm wasserlöslich und wieder zu trennen. Wir haben mit Lehm die Möglichkeit, nicht nur unser eigenes Material kreislauffähig zu haben durch die Zugabe von Wasser. Wir können mit unserem Baustoff auch andere Baustoffe kreislauffähig machen.
Deshalb ist auch die Wasserlöslichkeit das oberste Gut, was wir vor Additiven und Co schützen müssen. Wenn wir zum Beispiel einen Ziegel mit Lehm-Dünnbettmörtel vermauern, bleiben beide Baustoffe kreislauffähig. Mit einem sehr harten Mörtel sind sie nicht mehr voneinander zu scheiden und können nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form eingesetzt werden. Und das ist natürlich auch hinsichtlich Modularität, Rückbaubarkeit und so weiter ein Riesenthema, was aber gar nicht so einfach zu vermitteln ist. Für jeden Ziegelhersteller kann ein Lehmmörtel einen Game-Changer darstellen; das wird aber komischerweise nicht verstanden. In EPD’s (Environmental Product Declaration) kann man die Kreislauffähigkeit von Baustoffen nachlesen, bei Lehmbaustoffen ist der Faktor extrem hoch und deshalb ist die Ökobilanz auch so gut.
Welche Strategie oder welche spezifischen Lösungen siehst Du als entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung der Region Baden-Württmeberg oder allgemein in Deutschland an?
Simon Breidenbach: Der größte Hebel in allen Transformationsprozessen ist das Geld. Solange Leute für schlechte oder umweltschädliche Sachen nicht mehr zahlen als für gesunde und nachhaltige, dann wird das echt schwierig. Das nur auf regionaler Ebene zu sehen ist schwierig. Trotzdem halte ich es für sinnvoll. Ich glaube, wer nicht ökologisch handelt oder da vorausgeht, wird in Zukunft auch ein ökonomisches Problem bekommen.
»Der größte Hebel in allen Transformationsprozessen ist das Geld.«
Simon Breidenbach
Mein Traum wäre es, in jedem Bundesland einen voll ausgestatteten Standort zu haben um Lehmbaustoffe zu produzieren. Erdfeuchte Putze, Trockenmörtel und Lehmplatten. Das halte ich für absolut notwendig. Das sind unternehmerischen Ziele, auch wenn die wirtschaftliche Situation in der Branche gerade sehr schwierig ist. Wir sollten die lokalen Baustoffe nutzen, das heisst Stroh, Holz, Lehm, Kalk, alles was da ist, so wie das eigentlich früher war. Früher wurde mit dem gebaut, was in der Umgebung zu finden war. Rohstoffe gibt es überall im Land, wir könnten mit kurzen Transportwegen jede Region mit Ihrem eigenen Rohstoff beliefern.
Call for action: Was ist Dein Wunsch, was sollten die Akteur:innen im Bauwesen heute tun, um ihre Projekte mit natürlichen und kreislauffähigen Baustoffen zu realisieren?
Simon Breidenbach: Die gesamten Lebenszykluskosten einfach schwarz auf weiß hinschreiben! Wenn wir immer nur A und B auf Produktebene vergleichen, wird es schwierig. Wir müssen von ganzen Projekten die gesamten Lebenszykluskosten wirklich schwarz auf weiß festhalten. Bauherren, Architekten, Bauträger, Behörden – alle sind mittlerweile überfordert zusammen auf ein sinnvolles Ergebnis hin zu arbeiten. Eine Maßregel wie der Gebäuderessourcen Pass schafft da ein transparentes Modell mit klarer Zielsetzung.
Es wird deutlich, welches Material welchen Beitrag leistet, welche Technik notwendig ist – und worauf wir verzichten können. So lässt sich der Fokus aufs Wesentliche richten, und der gesamte Prozess wird finanzierbar. Entscheidend ist: den gesamten Lebenszyklus betrachten und konsequent ins Life Cycle Assessment überführen.